05/2017 von Klaus Kosack
In den 30er Jahren erlebte die Motorisierung in Deutschland einen enormen Aufschwung. Hinzu kam, dass die neuen Machthaber im Reich die Wiederaufrüstung der Wehrmacht in Angriff nahmen und für Flugzeuge, Schiffe und Heeresfahrzeuge riesige Mengen von Treibstoff brauchten, die in vielen Raffinerien im Reich produziert wurden, die Lager für den Treibstoff waren aber weiter weg. Es mussten ferner die Tankstellen für die Autos versorgt werden, Tankstellen schossen damals wie Pilze aus der Erde. Diese Treibstoffversorgung war damals nur mit der Eisenbahn zu bewältigen gewesen. Hierfür brauchte man viele Kesselwagen. Ende der 30er Jahre kam die Kriegsvorbereitung hinzu, auch hier waren Kesselwagen für die Treibstoffversorgung von Nöten.
In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg wurden nur kleinere Serien von Kesselwagen gebaut, meist nach den Wünschen der Besteller. Es gab also noch keinen Einheitskesselwagen. Die Fa. Westwaggon in Köln nahm es in die Hand, einen geschweißten Kesselwagen mit 22 m³ Ladevolumen mit 4,5 m Achsstand zu entwickeln. Nach 1938/39 wurde der Wagen ein Verkaufsschlager: Viele Firmen, vor allem die Kriegsmarine in Wilhelmshaven, orderten den Wagen, sodass er im Reich weit verbreitet war. Der Wagen wurde im Krieg weiter gebaut, die letzten Serien wurden 1952 in Dienst gestellt. Insgesamt wurden über 2.000 Wagen von verschiedenen Firmen gebaut, wobei knapp 1.200 Wagen alleine die Kriegsmarine bekam.
Im Krieg wurde der Kesselwagen vornehmlich zur Versorgung der Wehrmacht in halb Europa eingesetzt und nach dem Krieg übernahmen die jeweiligen Staatsbahnen die zurückgelassenen Kesselwagen als ihr Eigentum. So kam es, dass der Kesselwagen bei vielen deutschen Nachbarbahnen zu finden war.
Gebaut wurde der Kesselwagen mit Bremserhaus und Bremserstand. Nach dem Krieg waren die Holzbremserhäuser oftmals verschlissen und man hat sie abgebaut. Einheitlich war die Bauweise: auf ein genietetes Untergestell kam der geschweißte Kessel, wobei die Aufstiegsleitern je nach Baulos schon mal abweichen konnten. Teilweise hatten die Kessel auch Heizschlangen.
Nach dem Krieg war keiner der Wagen mehr im Eigentum der DR(w), sondern im Besitz von Mineralöl-Firmen oder Chemischen Werken. Ca. 900 Wagen gelangten in den Besitz von Wagenverleih-Firmen wie VTG oder IVG. Bei der DR gingen alle Wagen in den Staatsbahnbestand auf, die sie z.T. an VEB vermieteten. Der letzte Einsatz der Wagen war im Jahre 2000.
Der Kesselwagen wurde zum Transport von brennbaren Flüssigkeiten, Heizöl, Teer und Schweröl eingesetzt. Bis zum Erscheinen der Kesselwagen der Kriegsbauarten war er einer der häufigsten Kesselwagen bei der DRG.
Kesselwagen waren schon immer gerne produzierte Güterwagen der Modellbahnhersteller. Allerdings oftmals frei nach dem Motto: Je bunter desto besser, Vorbildtreue spielte da weniger eine Rolle. So kommt es, dass nur wenige Kesselwagen in N ein reales Vorbild haben, häufig wurden mehrere Bauarten vermengt. Hinzu kam, dass die meisten der bunten Kesselwagen so nie beim Vorbild liefen. Offenbar war es dem Käufer egal: Hauptsache bunt war das Argument für einen Kauf.
Umso erfreulicher war der Entschluss von BRAWA, einen realen Kesselwagen zu produzieren, der beim Vorbild auch häufiger war. Pate bei der Entwicklung des Wagens war sein H0 - Pendant der Firma, der 2012 erstmals erschien. Vorgestellt wurde der Wagen als Neuheit in N bei der Spielwarenmesse 2016 in Nürnberg, im Mai 2017 kamen die ersten Wagen in den Handel.
Gleich die erste Serie, die in den Handel kam, bestand aus 14 Varianten. In Nürnberg 2017 wurden weitere zehn Beschriftungsvarianten vorgestellt. Von diesen 24 Kesselwagen waren 1 der DRG, 9 der DB, 2 der DR, jeweils 3 der ÖBB, SNCF und NS, 2 der DSB und 1 der FS zugeordnet. Schwerpunkt ist Epoche III: 15 Varianten gibt es, ferner wurden 6 Kesselwagen aus Epoche IV und je einer aus Epoche II und V angekündigt. Bemerkenswert ist, dass es in N noch kein Modell des Hauptbestellers beim Vorbild, der Kriegsmarinewerft Wilhelmshafen, gibt. Ca. 60 % aller gebauten Kesselwagen dieses Typs ging an die Kriegsmarine. In H0 gibt es den Wagen auch mit Bremserhaus, den etwa ein Drittel aller Wagen besaßen. Getestet wurden die Kesselwagen VTG #67504 und DR #67509.
VTG + DR - Kesselwagen
Brawa Kesselwagen oben
Als einer der wenigen Kesselwagen hat BRAWA dem Wagen ein durchbrochenes Fahrgestell spendiert. Dies erforderte wegen der Kurzkupplung besondere Kniffe, um das durchbrochene Fahrgestell zu bewahren. Gelöst wurde das, in dem man den Kurzkupplungsmechanismus unter den Kesselsätteln versteckte.
Brawa Fahrgestell
Alle 24 bisher vorgestellten Varianten basieren auf dem gleichen Grundmodell: Bei allen Wagen ist der Kessel, das Fahrgestell und die Bremserbühne identisch. Es ist wirklich ein Genuss, den Wagen von allen Seiten zu betrachten: Feine Aufstiegsleitern und Bühnengeländer. Auf dem Kesselscheitel hat BRAWA die Entlüftungshutze nicht vergessen. Die Wagen rollen leicht und sind auch mit der Standard-Kupplung erfreulich kurz gekuppelt. Das einzige, was Anlass zur Kritik gab, sind die krummen Geländer, die aber nicht bei allen Wagen vorkommen, wie die Fotos beweisen.
Fleischman alt und Brawa VTG
Fast 50 Jahre Entwicklungsgeschichte sieht man bei dem Foto 7. Der Fleischmann- Kesselwagen wurde 1970 konstruiert und stellt einen Nachkriegskesselwagen mit 21,7 m³ Tankinhalt dar (#8401). Zweifellos ist er im Vergleich zur BRAWA - Neuheit viel zu wuchtig geraten. Dass es Fleischmann auch besser kann, zeigt das nächste Foto:
Fleischmann neu und Brawa VTG
Der Kesselwagen #8425 K der Fa. THÖRL stellt einen 19,2 m³ Kesselwagen dar, einer der Vorgängerbauarten des BRAWA-Modells. Auch er hat ein durchbrochenes Fahrgestell, wobei die Bremserbühne ein wenig wuchtiger im Vergleich zum BRAWA-Modell geraten ist.
Der Kesselwagen ist universell einsetzbar: Als Ganzzug, so etwa mit 15 bis 20 Kesselwagen, oder aber auch als Einzelwagen im Nahgüterzug bzw. in der Übergabe. Vorherrschend sollten dabei wie beim Vorbild die grau-schwarzen Kesselwagen sein; ein bunter kann schon mal darunter sein. Kurz: ein Muss für jeden Epoche III und IV- Fahrer.
Kesselwagen eignen sich bestens für viele farbenfrohe Varianten, nur dass beim Vorbild es früher nur wenige bunte Kesselwagen gab. Viele Kesselwagen waren von der VTG längerfristig vermietet; die Mineralölfirmen hatten dann meistens ihr Firmenlogo auf einer Platte aufgebracht, die seitlich am Kessel hing. Damit konnte der Kesselwagen bei Rückgabe einfacher in den Ursprungszustand gebracht werden. Das ist in N noch nicht realisiert; vielmehr sind alle Firmenlogos am Kessel direkt angebracht. Vielleicht eine Anregung an BRAWA: Man könnte ein Vorbildfoto der jeweiligen Variante in die Modellbeschreibung einfügen, was Diskussionen über den Kesselwagen erübrigt. Ebenso fehlt noch eine Variante mit Bremserhaus, die in N auch noch nicht realisiert wurde. Da gibt es für BRAWA noch viel zu tun.
Klaus Kosack
Lit.: St. Carstens/ H. Westermann, Güterwagen Bd. 7, Kesselwagen für brennbare Flüssigkeiten, Nürnberg 2014
St. Carstens (Hrsg.), Mineralöl-Kesselwagen, MIBA- Report, Nürnberg 2015
Z.Zt. bei DM-Toys erhältliche Kesselwagen von BRAWA
https://www.dm-toys.de/produktdetails/Brawa_67500.html
https://www.dm-toys.de/produktdetails/Brawa_67504.html
https://www.dm-toys.de/produktdetails/Brawa_67505.html
https://www.dm-toys.de/produktdetails/Brawa_67508.html
https://www.dm-toys.de/produktdetails/Brawa_67509.html
https://www.dm-toys.de/produktdetails/Brawa_67510.html
https://www.dm-toys.de/produktdetails/Brawa_67511.html